Die erste „offizielle“ Begegnung

von Mark & Laura

Hinweis: Sieben Monate vor „Zerberus-Unsichtbare Gefahr“ am Ende von „Fatale Bilanz“ Eine Szene, die in „Fatale Bilanz“ fehlte und als Eröffnung für „Zerberus“ aufgrund des Zeitsprungs nicht ganz passte… Egal, wie er es drehte und wendete, er hatte ein ernsthaftes Problem. Selbst der hämmernde Rhythmus von Deep Purple’s ‚Smoke on the Water’, sonst einer seiner Lieblingssongs, sorgte für keine Ablenkung. Genervt schaltete Mark Rawlins den MP3- Player des Audis aus. Nur noch wenige Kilometer trennten ihn von seinem Ziel, einem Reihenhaus in Hamburg-Eppendorf, und mit jeder Minute wuchs seine Unsicherheit. Was sollte er der Frau, die dort wohnte, sagen? „Guten Tag, ich bin Angehöriger einer amerikanischen Spezialeinheit und habe zusammen mit dem Hamburger LKA Ihren Mann ins Gefängnis gebracht. Aber das ist nicht alles, rein zufällig bin ich auch noch mit Ihrer Adoptivtochter verwandt. Ach ja, falls Sie es nicht bereits erraten haben: wir sind uns erst neulich kurz im Park begegnet und seitdem muss ich dauernd an Sie denken und würde Sie gerne näher kennen lernen.“ Na sicher doch. Sie würde ihn für verrückt halten oder panisch flüchten. Fluchend fuhr er wieder an, als die Ampel für seine aktuelle Stimmung viel zu schnell wieder grün wurde. Eine Rotphase von einigen Tagen wäre eher nach seinem Geschmack gewesen. Wirklich großartig. Normalerweise war Unsicherheit ein Fremdwort für ihn und er wusste genau, was er wollte und in der Regel auch, wie er es bekam. Aber der ganze Fall in Hamburg hatte von Anfang an eigene Gesetze gehabt, die außerhalb seines Einflussbereiches gelegen hatten. Das war nicht nur ungewohnt für Mark, sondern gefiel ihm auch nicht im Geringsten. Viel zu schnell erreichte er das Haus und während er den Audi in eine Parklücke rangierte, war er in Gedanken wieder bei dem gerade abgeschlossenen Fall und den Menschen, die mittlerweile zu Freunden geworden waren. Da war nicht nur Sven Klein, Hauptkommissar im Wirtschaftsdezernat des LKA, sondern vor allem auch Dirk Richter, ein deutscher Wirtschaftsprüfer, mit dem Mark zusammen verdeckt ermittelt hatte. Am Ende hatten sie es gemeinsam geschafft, Joachim Kranz zu überführen und auszuschalten, aber der Weg dahin war voller Gefahren gewesen und hätte Dirk beinahe das Leben gekostet. Mark schüttelte die Gedanken ab. Das war Vergangenheit, der offizielle Part seines Auftrags war definitiv erfolgreich erledigt, nun musste er nur noch den persönlichen Aspekt klären. Zunächst war es ihm gelungen, sein privates Interesse an dem Fall vor seinen deutschen Kollegen zu verbergen, aber mittlerweile wussten sie Bescheid und waren ebenso gespannt wie er selbst, wie Laura Kranz, die Frau des Hauptverantwortlichen, darauf reagieren würde, dass einer der Ermittler auch einen sehr persönlichen Grund hatte, ihren Mann ins Gefängnis zu befördern dorthin, wo er schon seit vielen Jahren gehört hätte, genauer gesagt, seit dem Zeitpunkt, an dem er Marks Schwester beinahe getötet und ihre Zukunft zerstört hatte. Es war noch niemals seine Art gewesen, unangenehme Dinge aufzuschieben und im Wagen sitzen zu bleiben, und über die Vergangenheit zu grübeln, brachte Mark definitiv nicht weiter. Trotzdem wäre er jetzt lieber in Svens Büro und würde sich mit politisch korrekten Formulierungen für ihren Einsatz, der sie verdammt nahe an den Rand der Legalität gebracht hatte, herumschlagen oder sich auch alternativ mit einer Handvoll Terroristen anlegen. Als ob das nicht reichen würde, blieb das dumpfe Gefühl, dass die Gefahr noch nicht gänzlich vorbei war, obwohl der Täter im Gefängnis saß und einer wasserdichten Anklage entgegen sah. Mark stieg aus, schlug die Wagentür mit mehr Schwung als erforderlich zu und ging entschlossen auf das Haus zu. Einen Sekundenbruchteil nach seinem Klingeln wurde die Haustür so heftig aufgerissen, dass er instinktiv zurückfuhr. Statt Laura Kranz stand ihre 12jährige Adoptivtochter Rami vor ihm und sah ihn aus braungoldenen Augen neugierig an, die denen seiner Schwester und auch seinen eigenen verblüffend glichen. Er hätte seine Sonnenbrille aufsetzen sollen, aber die Erkenntnis kam zu spät. Die Ähnlichkeit konnte weder dem Kind noch der Adoptivmutter entgehen und damit würde er mit seinen Erklärungen verdammt schnell sein müssen. Ramis Neugier wich bereits deutlich erkennbarer Verblüffung. Mark räusperte sich, bevor er seiner Stimme wieder traute. „Hallo, ich würde gerne mit deiner Mutter sprechen.“ „Die kommt jeden Moment zurück. Sie ist mit meinem Bruder beim Anwalt. Wollen Sie solange reinkommen und warten?“ Mark wäre der Einladung beinahe gefolgt, als ihm gerade noch rechtzeitig bewusst wurde, dass dies kaum sinnvoll war. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Mutter es dir erlaubt hat, fremde Männer ins Haus zu lassen.“ „Das ist richtig, aber ich wollte Sie gerne kennen lernen, bevor Sie wieder einfach verschwinden. Wissen Sie, ich bin nicht blind. Sie sehen aus wie ich, jedenfalls teilweise.“ Die Formulierung brachte Mark zum Schmunzeln. „Keine Angst, ich habe nicht vor, zu verschwinden. Aber ich warte lieber draußen auf deine Mutter.“ „Gut. Dann warten wir eben zusammen.“ Mark hob fragend eine Augenbraue. „Na, es war nie davon die Rede, dass ich nicht draußen mit einem Besucher warten darf.“ Mark stimmte lächelnd zu. Egal, wie das Gespräch mit Laura Kranz ausging, das Mädchen mochte er schon jetzt. Sie setzten sich nebeneinander auf die Stufen vor der Haustür und sofort begann Rami ihn auszufragen. Amüsiert wehrte Mark ihre durchaus gekonnten Versuche ab. „Pass auf, es ist in Ordnung, wenn du mich einfach Mark nennst, aber ich möchte erst mit deiner Mutter reden, ehe ich dir alles erkläre. Ich bin sicher, danach werden deine ganzen Fragen beantwortet sein.“ „Meinetwegen. Aber meine Mutter sagt immer, dass ich eine gute Menschenkenntnis habe, darum glaube ich auch nicht, dass du zu den Männern gehörst, die mit meinem Vater zusammengearbeitet haben. Du gehörst bestimmt zur Polizei, oder? Aber nicht zur deutschen, denn du sprichst zwar wirklich gut deutsch, aber so ein bisschen Akzent ist da. Woher kommst du?“ Das Mädchen steckte anscheinend erstaunlich leicht weg, dass sein Vater im Gefängnis saß, andererseits hatte Mark schon im Park mitbekommen, dass zwischen dem Mann und seinen Kindern eine gewisse Distanz bestand. „Also gut, du hast Recht, ich bin so etwas Ähnliches wie ein Polizist und Amerikaner.“ Bevor Rami nachfragen konnte, sah er, dass sich der Wagen von Laura Kranz näherte. Das war die perfekte Ablenkung. „Sieh mal, da kommt deine Mutter.“ Schon während Laura Kranz in den Carport einbog, konnte Mark erkennen, wie misstrauisch sie in seine Richtung blickte. Sie zerrte den Jungen förmlich aus seinem Kindersitz und rannte fast auf ihn zu. Das fing nicht gut an. Atemlos blieb Laura vor ihm stehen. Ehe einer von ihnen die Chance bekam, etwas zu sagen, fasste Rami nach Marks Arm. „Mama, das ist Mark Rawlins, aber ich darf ihn Mark nennen. Er ist Amerikaner und so etwas Ähnliches wie ein Polizist. Aber mehr verrät er mir erst, wenn er mit dir gesprochen hat. Siehst du, ich hatte doch recht, dass er sich für dich interessiert und deine Adresse herausfindet.“ Mark öffnete den Mund, brachte aber kein vernünftiges Wort hervor. Was sollte er nach einer solchen Vorstellung schon noch sagen? Allerdings gefiel ihm der Gedanke, dass Laura ihre Begegnung im Park offensichtlich nicht kalt gelassen hatte und schließlich siegte sein Humor. „Danke, Rami. Deine Vorstellung macht die ganze Angelegenheit gleich einfacher.“ Leider entspannte sich der Gesichtsausdruck von Laura Kranz nicht im Geringsten, sondern wurde eher noch grimmiger. „Was wollen Sie von mir?“, fauchte sie Mark an. Beschwichtigend hob er die Hände. „Nur mit Ihnen reden. Es tut mir leid, dass ich Sie so überfalle, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich ihnen telefonisch erklären sollte, worum es geht.“ Unschlüssig kaute Laura auf ihrer Unterlippe. „Können Sie sich ausweisen?“ „Klar, aber mein Personalausweis oder Führerschein hilft Ihnen kaum weiter.“ Seinen Dienstausweis erwähnte er gar nicht erst, wenn er zugab, zu einer Spezialeinheit der US Navy zu gehören, würde er die Angelegenheit nur noch weiter verkomplizieren. „Und wieso sollte ich dann mit Ihnen reden?“ Verständnislos fragte sich Mark, wieso sie dermaßen aggressiv und ablehnend reagierte. Bisher hatte er sie für warmherzig und freundlich gehalten, wenn ihr Verhalten die Antwort darauf war, dass er an der Verhaftung ihres Mannes beteiligt war, konnte er jede gütliche Einigung vergessen. Andererseits waren sowohl Sven als auch Dirk sicher gewesen, dass sie nichts von den Machenschaften ihres Mannes gewusst hatte. „Wir können uns gerne hier draußen unterhalten, aber reden müssen wir.“ Er griff in die Jackentasche, um sein Handy hervorzuholen, sofort wich Laura zurück. „Verdammt, für wen halten Sie mich eigentlich?“ Als Ärger den kurzen Anflug von Angst in ihrer Miene ablöste, winkte er ab. Anscheinend hatte sie ernsthaft gedacht, er würde eine Waffe ziehen. „Schon gut, ich möchte lieber nicht wissen, wofür Sie mich halten. Ich wollte es nur mit einem Mann als Vermittler versuchen, den Sie kennen.“ Während Mark Svens Nummer wählte, funkelte Rami ihre Mutter an. „Was soll denn das? Ich finde Mark nett und er will doch nur mit dir reden. Ich denke, er gefiel dir?“ Mühsam verkniff Mark sich ein Grinsen. „Hallo Sven, ich brauche deine Hilfe.“ „Dass ich das noch erlebe.“ Normalerweise mochte er Svens trockenen Humor, aber im Moment hatte er dafür keinen Sinn. „Sehr witzig, kannst du bitte Laura Kranz gegenüber bestätigen, dass ich zu den Guten gehöre?“ „Wenn ich das tue, schade ich mir selbst. Also nein, eher nicht.“ Nun musste Mark doch schmunzeln. Er ahnte, dass Sven für jede Ablenkung von den nervigen Berichten dankbar war. „Wie meinst du das?“ „Wenn deine Laura sich weigert, mit dir zu reden, bist du schneller wieder hier und kannst selbst deine Handyortungen rechtlich sauber erklären. Hast du schon mal was vom deutschen Fernmeldegesetz gehört? Warum sollte ich dir also helfen?“ Mark ignorierte die Anspielung. Unglücklicherweise war seinen Freunden sein Interesse an der Frau nicht entgangen und er hatte sich deswegen schon einiges anhören müssen. „Sieh es mal so, wenn du mir nicht hilfst, fahre ich direkt zum Flughafen und du kannst dir deine fälligen Erklärungen komplett alleine zusammenbasteln.“ Laura Kranz hatte den kurzen Wortwechsel aufmerksam verfolgt und ein leichtes Lächeln umspielte nun ihre Mundwinkel. Mark hielt ihr das Handy hin. „Den Herrn müssten Sie erkennen. Wenn nicht, dann legen Sie auf und lassen sich über die Zentrale zu ihm durchstellen.“ Zögernd nahm Laura das Handy entgegen und hörte zu. Was immer Sven zu ihr sagt, es schien ihr nicht zu gefallen. Wortlos trennte sie die Verbindung und funkelte ihn wieder sichtlich aufgebracht an. „Also gut. Ich rede mit Ihnen, aber glauben Sie bloß nicht, dass Sie mir Rami wegnehmen können. Das können Sie vergessen.“ Rami wegnehmen? Wie kam sie nur auf die absurde Idee? Dann fiel ihm schlagartig die Ähnlichkeit zwischen dem Kind und ihm ein. Allmählich ahnte er, in welche Richtung ihre Überlegungen gingen. Damit bekam auch ihr angriffslustiges Verhalten einen Sinn, wie eine Löwenmutter schien sie es für nötig zu halten, ihr Junges zu verteidigen. „Ich sage es gerne zum dritten Mal, ich möchte lediglich mit Ihnen reden.“ Laura schnaubte und murmelte etwas vor sich hin, das er nicht verstand, während sie die Haustür energisch aufstieß. „Meistens regt sie sich auch schnell wieder ab“, flüsterte Rami ihm leise zu. Damit hatte der Ärger von Laura ein neues Ziel gefunden. „Du hältst dich da raus und gehst mit Nicki nach oben. Ich will weder dich noch deinen Bruder auf der Treppe sehen. Verstanden?“ Rami hob das Kinn etwas höher. „Ja, laut und deutlich, aber ich will auch erfahren, worum es geht, schließlich betrifft es ja wohl mich.“ Sie wandte sich direkt an Mark. „Und wir sehen uns doch noch, oder?“ „Natürlich. Ich werde nicht gehen, ohne mich von dir zu verabschieden oder dir deine Fragen zu beantworten“, versicherte Mark ihr. „Gut, dann bin ich einverstanden.“ „Da vorne ist die Küche.“ Laura wartete nicht, ob Mark ihr folgte. Seufzend übernahm er es, die Haustür zu schließen und nutzte die Chance, sich rasch umzusehen. Das gemütlich wirkende Wohnzimmer mit der chaotischen Spielecke hätte ihm besser gefallen, als die sterile Edelstahlküche, aber er konnte sich ungefähr vorstellen, wie sie auf einen entsprechenden Vorschlag reagieren würde. „Kaffee?“ Das Angebot glich einem Fauchen und wieder musste Mark an eine Löwin denken. Dieses Mal bekam er sein Grinsen kaum noch in den Griff. „Kann ich sicher sein, dass Sie kein Gift reintun?“ „Ja, aber nur, weil ich keins habe. Wenn Sie meine Tochter nicht in Ruhe lassen, besorge ich mir welches.“ „Wieso glauben Sie eigentlich, dass ich Sie Ihnen wegnehmen will?“ „Halten Sie mich für blind? Die Ähnlichkeit zwischen Ihnen und Rami ist doch nicht zu übersehen. Glauben Sie wirklich, Sie können nach den ganzen Jahren plötzlich auftauchen und Vaterschaftsrechte geltend machen?“ Obwohl er schon geahnt oder eher befürchtet hatte, dass sie ihn für Ramis Vater hielt, verletzte ihn die geringe Meinung, die sie offenbar von ihm hatte. Gleichzeitig fragte er sich, warum eigentlich. Letztlich kannte sie ihn nicht und es konnte ihm egal sein, was sie von ihm hielt war es aber nicht. Er lehnte sich gegen den Tresen und beobachtete, wie sie mit der Kaffeemaschine herumhantierte. „Sie glauben also ernsthaft, ich hätte meine Tochter und ihre Mutter im Stich gelassen?“ Laura wich seinem Blick nicht aus und nickte. „Ja und ich möchte wissen, wer Sie sind, was Sie wollen.“ „Genau das versuche ich Ihnen ja zu erklären. Aber kochen Sie erst einmal den Kaffee und beruhigen Sie sich endlich.“ Sein Befehlston erzielte die gewünschte Wirkung. Während sie die Kaffeemaschine einschaltete, verschwanden Wut und Ärger von ihrem Gesicht und Mark erkannte deutlich die Verletzlichkeit und Unsicherheit, die sie vor ihm verbergen wollte. Sie hätte ihn kaum für Ramis Vater gehalten, wenn ihr Ehemann ihr nicht verschwiegen hätte, dass er selbst der leibliche Vater ihrer Adoptivtochter war. Die Art und Weise, wie sie betrogen worden war, machte ihn wütend und er musste sich bemühen, einen neutralen Gesichtsausdruck beizubehalten. Viel zu schnell war der Kaffee fertig und Laura hielt ihm einen Becher hin. Er kam nicht dazu, einen Schluck zu trinken, denn sie schoss sofort das reinste Fragengewitter ab: „Wenn Sie nicht Ramis Vater sind, wer sind Sie dann? Was heißt ‚eine Art Polizist’? Was wollten Sie im Park? Was haben Sie mit meinem Mann überhaupt zu tun?“ „Welche Frage soll ich denn als Erstes beantworten?“ Obwohl sie ihn wieder anfunkelte, schien sie eher amüsiert als verärgert zu sein. „Suchen Sie sich eine aus.“ „Also gut, dann fangen wir ganz vorne an. Wissen Sie, dass Ihr Mann vor Ihrer Ehe eine Beziehung mit einer Frau namens ‚Shara Rawiz’ hatte?“ „Ja, sicher. Und ich weiß auch von meinem Anwalt, das ihm vorgeworfen wird, sie vor elf Jahren überfallen und fast getötet zu haben. Sie liegt seitdem im Koma, richtig?“ „Ja. Hat Ihr Mann Ihnen von Shara erzählt? Und wieso haben Sie einen Anwalt? Ihnen wird doch nichts vorgeworfen.“ Sie trank zunächst einen Schluck Kaffee. „Ich war beim Anwalt, weil ich wissen will, wie ich mich möglichst schnell von diesem Betrüger scheiden lassen kann und nicht, weil ich Angst vor einer Strafverfolgung habe. Von Shara hatte ich vorher irgendwann durch Zufall erfahren, aber natürlich nicht gewusst, dass mein Mann sie überfallen hat. Ich weiß auch nicht, warum er das getan haben soll.“ Ihre Absicht, sich scheiden zu lassen, gefiel ihm ausgesprochen gut. „Shara hat von ihm Unterhalt für ihr gemeinsames Kind verlangt. Das hat ihm nicht gepasst.“ Laura starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an, er sah ihr an, wie sie die richtige Schlussfolgerung zog und nickte langsam. „Ihr Mann und Shara sind die leiblichen Eltern von Rami. Shara ist meine Schwester, damit bin ich Ramis Onkel und nicht ihr Vater.“ Sie wurde kreidebleich, bewahrte aber ihre Fassung und schluckte. „Ich habe das schon irgendwie fast geahnt.“ Sie lachte bitter auf. „Mein Anwalt meinte vorhin, dass ich von den Betrügereien meines Mannes nicht ausreichend persönlich betroffen bin. Jedenfalls könnten einige Familienrichter das so sehen und eine Scheidung im Schnellverfahren verhindern. Dieser Punkt hat sich damit wohl erledigt. Joachim hat mir erzählt, dass Rami sein Patenkind wäre, ihre Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen sind und wir verpflichtet seien, sie aufzunehmen. Sind Sie denn absolut sicher?“ „Ja, das geht eindeutig aus den Akten beim Jugendamt hervor und Ihr Mann hat es gestern gegenüber Sven und mir zugegeben. Es tut mir leid.“ „Das ist ja nicht Ihre Schuld.“ Laura betrachtete lange Zeit das Muster auf ihrem Kaffeebecher. „Was wollen Sie jetzt von uns? Und wieso tauchen Sie erst jetzt hier auf?“ „Weil ich auch erst seit Kurzem weiß, dass meine Schwester noch lebt und dass es Rami gibt. Ich möchte das Mädchen gerne kennen lernen und außerdem verspricht sich Sharas Arzt einiges davon, wenn Rami ihre Mutter besucht. Wenn es eine Chance gibt, mit Ramis Hilfe meine Schwester aus dem Koma zu holen, müssen wir sie nutzen.“ „Wir?“ Die Frage klang eher verzweifelt als trotzig und Mark konnte nur erahnen, in welches Gefühlschaos er sie mit seiner Forderung stürzte. „Ja: wir. Sie können nichts dafür, dass Rami damals ihre leibliche Familie verloren hat und Sie haben in den letzten Jahren alles für das Mädchen getan. Aber jetzt können Sie nicht tun, als ob es Ramis Familie nicht gibt. Ich verlange doch wirklich nichts Unmögliches von Ihnen. Lassen Sie uns doch gemeinsam versuchen, das Beste aus dieser Situation zu machen.“ Mark sah ihr den Zwiespalt an und er konnte verstehen, wenn es ihr am Liebsten gewesen wäre, wenn er sang- und klanglos aus ihrem Leben verschwinden würde. Aber ihr musste auch klar sein, dass das nicht mehr als reines Wunschdenken war Schließlich atmete sie tief durch und sah ihn wieder direkt an. „Wenn ich mich weigere, würden Sie bestimmt Mittel und Wege finden, Ihren Willen durchzusetzen, oder?“ Erwiderte den forschenden Blick bewusst ausdruckslos. „Davon können Sie ausgehen.“ Wieder betrachtete sie schweigend die Kaffeetasse, ehe sie ihn direkt ansah. „Wir werden uns bestimmt einigen. Solange es Rami nicht schadet, bin ich zu allen möglichen Zugeständnissen bereit. Aber verraten Sie mir denn jetzt auch, was genau passiert ist? Ich weiß nur, dass mein Mann in der Bank Geld unterschlagen hat. Aber Herr Klein sprach eben davon, dass mein Mann auch direkt und indirekt für alle möglichen anderen Straftaten verantwortlich ist und unter anderem Herr Richter nur mit viel Glück überlebt hat. Ich kenne Herrn Richter, seine Frau hat für meinen Mann gearbeitet, und wir haben uns oft bei Veranstaltungen in der Bank getroffen. Ist das wirklich wahr?“ So hatte Sven sie also dazu gebracht, mit ihm zu reden. Mark suchte noch nach einer unverfänglichen Erklärung, als sie einen erschrockenen Laut ausstieß. „Die Zeitung heute morgen. Das hängt alles zusammen, oder? Sie haben zu dritt ermittelt, vermutlich verdeckt und sind aufgeflogen. Bestimmt, weil ich meinen Mann gesagt habe, dass ich Herrn Richter beim LKA getroffen habe, oder? In der Zeitung stand was von Herrn Klein, einer Spezialeinheit, einer Geiselbefreiung und einem verletzten LKA-Beamten. Mark zögerte. Sie war jahrelang betrogen worden und es würde nicht lange dauern, bis weitere Einzelheiten in der Presse durchsickerten. Geheimhaltung war gut und schön, aber er würde nicht da weitermachen, wo ihr Mann aufgehört hatte. Er entschied sich für einen Mittelweg. „Die Reporter übertreiben gerne. Es wurde kein LKA-Beamter verletzt, sondern Dirk. Aber die Schussverletzung war relativ harmlos. Er ist bereits wieder zu Hause und lässt sich von seiner Frau verwöhnen.“ Mark grinste breit. „Eigentlich müsste es heißen, er befindet sich auf der Flucht vor der übertriebenen Fürsorge seiner Frau und hilft Sven schon dabei, den ganzen Mist auch formell zum Abschluss zu kriegen.“ „Das klingt, als ob Sie nicht nur Kollegen, sondern auch Freunde sind.“ „Stimmt.“ „Und was genau sind Sie jetzt?“ Diese Frage hatte er erwartet. Normalerweise wussten nur engste Familienangehörige oder Freunde, dass jemand den SEALs angehörte. Bei diesem Fall hatte Mark den Eindruck, dass bereits dermaßen viele wussten, wer er war, dass er ebenso gut in seiner offiziellen Uniform herumlaufen konnte. „Ich leite das Team einer amerikanischen Spezialeinheit und wir haben mit dem LKA zusammengearbeitet. Reicht das?“ „Erstmal“, antwortete sie warnend. Lächelnd prostete Mark ihr mit dem Kaffeebecher zu. „Das klingt nach einer interessanten Herausforderung. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.“ Eine leichte Röte stieg in Lauras Wangen, aber sie hielt seinem forschenden Blick stand. „Ich lass mich überraschen. Mich interessieren nur noch zwei Sachen. Warum waren Sie Samstag im Park?“ „Eigentlich wollte ich mich erst nach dem Abschluss des Falls mit Ihnen in Verbindung setzen, aber ich konnte nicht widerstehen, Sie und Ihre Kinder schon vorher kennen zu lernen.“ Die Röte auf Lauras Wangen vertiefte sich, offenbar war seine unterschwellige Botschaft angekommen. Mit einer abrupten Kopfbewegung wandte sie sich ab. „Lassen wir das Thema lieber. Ich befürchte, dass Rami ungeduldig wird. Sie weiß, dass wir nicht ihre leiblichen Eltern sind, und ich bin damit einverstanden, dass wir ihr sagen, dass sie einen Onkel hat und was mit ihrer leiblichen Mutter ist. Aber den Rest, die Sache mit ihrem Vater, den möchte ich ihr später erzählen. Das alles zusammen wäre zu viel für sie.“ „Einverstanden.“ „Dann noch etwas. Wenn wir schon quasi verwandt sind und meine Tochter dich schon duzt, kannst du mich auch gerne Laura nennen.“ „Gerne.“ Die nächsten Wochen und Monate würden interessant werden, trotzdem konnte Mark eine beunruhigende Vorahnung nicht abschütteln. Aber er würde nicht zulassen, dass Laura oder den Kindern etwas zustieß. Egal, was es ihn kosten würde. Marks Vorahnung ist richtig! => Weiter geht es mit Mark & Laura in „Zerberus Unsichtbare Gefahr“ Link Copyright by Stefanie Ross, 2013
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Die erste „offizielle“

Begegnung von Mark &

Laura

Hinweis: Sieben Monate vor „Zerberus-Unsichtbare Gefahr“ am Ende von „Fatale Bilanz“ Eine Szene, die in „Fatale Bilanz“ fehlte und als Eröffnung für „Zerberus“ aufgrund des Zeitsprungs nicht ganz passte… Egal, wie er es drehte und wendete, er hatte ein ernsthaftes Problem. Selbst der hämmernde Rhythmus von Deep Purple’s ‚Smoke on the Water’, sonst einer seiner Lieblingssongs, sorgte für keine Ablenkung. Genervt schaltete Mark Rawlins den MP3-Player des Audis aus. Nur noch wenige Kilometer trennten ihn von seinem Ziel, einem Reihenhaus in Hamburg-Eppendorf, und mit jeder Minute wuchs seine Unsicherheit. Was sollte er der Frau, die dort wohnte, sagen? „Guten Tag, ich bin Angehöriger einer amerikanischen Spezialeinheit und habe zusammen mit dem Hamburger LKA Ihren Mann ins Gefängnis gebracht. Aber das ist nicht alles, rein zufällig bin ich auch noch mit Ihrer Adoptivtochter verwandt. Ach ja, falls Sie es nicht bereits erraten haben: wir sind uns erst neulich kurz im Park begegnet und seitdem muss ich dauernd an Sie denken und würde Sie gerne näher kennen lernen.“ Na sicher doch. Sie würde ihn für verrückt halten oder panisch flüchten. Fluchend fuhr er wieder an, als die Ampel für seine aktuelle Stimmung viel zu schnell wieder grün wurde. Eine Rotphase von einigen Tagen wäre eher nach seinem Geschmack gewesen. Wirklich großartig. Normalerweise war Unsicherheit ein Fremdwort für ihn und er wusste genau, was er wollte und in der Regel auch, wie er es bekam. Aber der ganze Fall in Hamburg hatte von Anfang an eigene Gesetze gehabt, die außerhalb seines Einflussbereiches gelegen hatten. Das war nicht nur ungewohnt für Mark, sondern gefiel ihm auch nicht im Geringsten. Viel zu schnell erreichte er das Haus und während er den Audi in eine Parklücke rangierte, war er in Gedanken wieder bei dem gerade abgeschlossenen Fall und den Menschen, die mittlerweile zu Freunden geworden waren. Da war nicht nur Sven Klein, Hauptkommissar im Wirtschaftsdezernat des LKA, sondern vor allem auch Dirk Richter, ein deutscher Wirtschaftsprüfer, mit dem Mark zusammen verdeckt ermittelt hatte. Am Ende hatten sie es gemeinsam geschafft, Joachim Kranz zu überführen und auszuschalten, aber der Weg dahin war voller Gefahren gewesen und hätte Dirk beinahe das Leben gekostet. Mark schüttelte die Gedanken ab. Das war Vergangenheit, der offizielle Part seines Auftrags war definitiv erfolgreich erledigt, nun musste er nur noch den persönlichen Aspekt klären. Zunächst war es ihm gelungen, sein privates Interesse an dem Fall vor seinen deutschen Kollegen zu verbergen, aber mittlerweile wussten sie Bescheid und waren ebenso gespannt wie er selbst, wie Laura Kranz, die Frau des Hauptverantwortlichen, darauf reagieren würde, dass einer der Ermittler auch einen sehr persönlichen Grund hatte, ihren Mann ins Gefängnis zu befördern dorthin, wo er schon seit vielen Jahren gehört hätte, genauer gesagt, seit dem Zeitpunkt, an dem er Marks Schwester beinahe getötet und ihre Zukunft zerstört hatte. Es war noch niemals seine Art gewesen, unangenehme Dinge aufzuschieben und im Wagen sitzen zu bleiben, und über die Vergangenheit zu grübeln, brachte Mark definitiv nicht weiter. Trotzdem wäre er jetzt lieber in Svens Büro und würde sich mit politisch korrekten Formulierungen für ihren Einsatz, der sie verdammt nahe an den Rand der Legalität gebracht hatte, herumschlagen oder sich auch alternativ mit einer Handvoll Terroristen anlegen. Als ob das nicht reichen würde, blieb das dumpfe Gefühl, dass die Gefahr noch nicht gänzlich vorbei war, obwohl der Täter im Gefängnis saß und einer wasserdichten Anklage entgegen sah. Mark stieg aus, schlug die Wagentür mit mehr Schwung als erforderlich zu und ging entschlossen auf das Haus zu. Einen Sekundenbruchteil nach seinem Klingeln wurde die Haustür so heftig aufgerissen, dass er instinktiv zurückfuhr. Statt Laura Kranz stand ihre 12jährige Adoptivtochter Rami vor ihm und sah ihn aus braungoldenen Augen neugierig an, die denen seiner Schwester und auch seinen eigenen verblüffend glichen. Er hätte seine Sonnenbrille aufsetzen sollen, aber die Erkenntnis kam zu spät. Die Ähnlichkeit konnte weder dem Kind noch der Adoptivmutter entgehen und damit würde er mit seinen Erklärungen verdammt schnell sein müssen. Ramis Neugier wich bereits deutlich erkennbarer Verblüffung. Mark räusperte sich, bevor er seiner Stimme wieder traute. „Hallo, ich würde gerne mit deiner Mutter sprechen.“ „Die kommt jeden Moment zurück. Sie ist mit meinem Bruder beim Anwalt. Wollen Sie solange reinkommen und warten?“ Mark wäre der Einladung beinahe gefolgt, als ihm gerade noch rechtzeitig bewusst wurde, dass dies kaum sinnvoll war. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Mutter es dir erlaubt hat, fremde Männer ins Haus zu lassen.“ „Das ist richtig, aber ich wollte Sie gerne kennen lernen, bevor Sie wieder einfach verschwinden. Wissen Sie, ich bin nicht blind. Sie sehen aus wie ich, jedenfalls teilweise.“ Die Formulierung brachte Mark zum Schmunzeln. „Keine Angst, ich habe nicht vor, zu verschwinden. Aber ich warte lieber draußen auf deine Mutter.“ „Gut. Dann warten wir eben zusammen.“ Mark hob fragend eine Augenbraue. „Na, es war nie davon die Rede, dass ich nicht draußen mit einem Besucher warten darf.“ Mark stimmte lächelnd zu. Egal, wie das Gespräch mit Laura Kranz ausging, das Mädchen mochte er schon jetzt. Sie setzten sich nebeneinander auf die Stufen vor der Haustür und sofort begann Rami ihn auszufragen. Amüsiert wehrte Mark ihre durchaus gekonnten Versuche ab. „Pass auf, es ist in Ordnung, wenn du mich einfach Mark nennst, aber ich möchte erst mit deiner Mutter reden, ehe ich dir alles erkläre. Ich bin sicher, danach werden deine ganzen Fragen beantwortet sein.“ „Meinetwegen. Aber meine Mutter sagt immer, dass ich eine gute Menschenkenntnis habe, darum glaube ich auch nicht, dass du zu den Männern gehörst, die mit meinem Vater zusammengearbeitet haben. Du gehörst bestimmt zur Polizei, oder? Aber nicht zur deutschen, denn du sprichst zwar wirklich gut deutsch, aber so ein bisschen Akzent ist da. Woher kommst du?“ Das Mädchen steckte anscheinend erstaunlich leicht weg, dass sein Vater im Gefängnis saß, andererseits hatte Mark schon im Park mitbekommen, dass zwischen dem Mann und seinen Kindern eine gewisse Distanz bestand. „Also gut, du hast Recht, ich bin so etwas Ähnliches wie ein Polizist und Amerikaner.“ Bevor Rami nachfragen konnte, sah er, dass sich der Wagen von Laura Kranz näherte. Das war die perfekte Ablenkung. „Sieh mal, da kommt deine Mutter.“ Schon während Laura Kranz in den Carport einbog, konnte Mark erkennen, wie misstrauisch sie in seine Richtung blickte. Sie zerrte den Jungen förmlich aus seinem Kindersitz und rannte fast auf ihn zu. Das fing nicht gut an. Atemlos blieb Laura vor ihm stehen. Ehe einer von ihnen die Chance bekam, etwas zu sagen, fasste Rami nach Marks Arm. „Mama, das ist Mark Rawlins, aber ich darf ihn Mark nennen. Er ist Amerikaner und so etwas Ähnliches wie ein Polizist. Aber mehr verrät er mir erst, wenn er mit dir gesprochen hat. Siehst du, ich hatte doch recht, dass er sich für dich interessiert und deine Adresse herausfindet.“ Mark öffnete den Mund, brachte aber kein vernünftiges Wort hervor. Was sollte er nach einer solchen Vorstellung schon noch sagen? Allerdings gefiel ihm der Gedanke, dass Laura ihre Begegnung im Park offensichtlich nicht kalt gelassen hatte und schließlich siegte sein Humor. „Danke, Rami. Deine Vorstellung macht die ganze Angelegenheit gleich einfacher.“ Leider entspannte sich der Gesichtsausdruck von Laura Kranz nicht im Geringsten, sondern wurde eher noch grimmiger. „Was wollen Sie von mir?“, fauchte sie Mark an. Beschwichtigend hob er die Hände. „Nur mit Ihnen reden. Es tut mir leid, dass ich Sie so überfalle, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich ihnen telefonisch erklären sollte, worum es geht.“ Unschlüssig kaute Laura auf ihrer Unterlippe. „Können Sie sich ausweisen?“ „Klar, aber mein Personalausweis oder Führerschein hilft Ihnen kaum weiter.“ Seinen Dienstausweis erwähnte er gar nicht erst, wenn er zugab, zu einer Spezialeinheit der US Navy zu gehören, würde er die Angelegenheit nur noch weiter verkomplizieren. „Und wieso sollte ich dann mit Ihnen reden?“ Verständnislos fragte sich Mark, wieso sie dermaßen aggressiv und ablehnend reagierte. Bisher hatte er sie für warmherzig und freundlich gehalten, wenn ihr Verhalten die Antwort darauf war, dass er an der Verhaftung ihres Mannes beteiligt war, konnte er jede gütliche Einigung vergessen. Andererseits waren sowohl Sven als auch Dirk sicher gewesen, dass sie nichts von den Machenschaften ihres Mannes gewusst hatte. „Wir können uns gerne hier draußen unterhalten, aber reden müssen wir.“ Er griff in die Jackentasche, um sein Handy hervorzuholen, sofort wich Laura zurück. „Verdammt, für wen halten Sie mich eigentlich?“ Als Ärger den kurzen Anflug von Angst in ihrer Miene ablöste, winkte er ab. Anscheinend hatte sie ernsthaft gedacht, er würde eine Waffe ziehen. „Schon gut, ich möchte lieber nicht wissen, wofür Sie mich halten. Ich wollte es nur mit einem Mann als Vermittler versuchen, den Sie kennen.“ Während Mark Svens Nummer wählte, funkelte Rami ihre Mutter an. „Was soll denn das? Ich finde Mark nett und er will doch nur mit dir reden. Ich denke, er gefiel dir?“ Mühsam verkniff Mark sich ein Grinsen. „Hallo Sven, ich brauche deine Hilfe.“ „Dass ich das noch erlebe.“ Normalerweise mochte er Svens trockenen Humor, aber im Moment hatte er dafür keinen Sinn. „Sehr witzig, kannst du bitte Laura Kranz gegenüber bestätigen, dass ich zu den Guten gehöre?“ „Wenn ich das tue, schade ich mir selbst. Also nein, eher nicht.“ Nun musste Mark doch schmunzeln. Er ahnte, dass Sven für jede Ablenkung von den nervigen Berichten dankbar war. „Wie meinst du das?“ „Wenn deine Laura sich weigert, mit dir zu reden, bist du schneller wieder hier und kannst selbst deine Handyortungen rechtlich sauber erklären. Hast du schon mal was vom deutschen Fernmeldegesetz gehört? Warum sollte ich dir also helfen?“ Mark ignorierte die Anspielung. Unglücklicherweise war seinen Freunden sein Interesse an der Frau nicht entgangen und er hatte sich deswegen schon einiges anhören müssen. „Sieh es mal so, wenn du mir nicht hilfst, fahre ich direkt zum Flughafen und du kannst dir deine fälligen Erklärungen komplett alleine zusammenbasteln.“ Laura Kranz hatte den kurzen Wortwechsel aufmerksam verfolgt und ein leichtes Lächeln umspielte nun ihre Mundwinkel. Mark hielt ihr das Handy hin. „Den Herrn müssten Sie erkennen. Wenn nicht, dann legen Sie auf und lassen sich über die Zentrale zu ihm durchstellen.“ Zögernd nahm Laura das Handy entgegen und hörte zu. Was immer Sven zu ihr sagt, es schien ihr nicht zu gefallen. Wortlos trennte sie die Verbindung und funkelte ihn wieder sichtlich aufgebracht an. „Also gut. Ich rede mit Ihnen, aber glauben Sie bloß nicht, dass Sie mir Rami wegnehmen können. Das können Sie vergessen.“ Rami wegnehmen? Wie kam sie nur auf die absurde Idee? Dann fiel ihm schlagartig die Ähnlichkeit zwischen dem Kind und ihm ein. Allmählich ahnte er, in welche Richtung ihre Überlegungen gingen. Damit bekam auch ihr angriffslustiges Verhalten einen Sinn, wie eine Löwenmutter schien sie es für nötig zu halten, ihr Junges zu verteidigen. „Ich sage es gerne zum dritten Mal, ich möchte lediglich mit Ihnen reden.“ Laura schnaubte und murmelte etwas vor sich hin, das er nicht verstand, während sie die Haustür energisch aufstieß. „Meistens regt sie sich auch schnell wieder ab“, flüsterte Rami ihm leise zu. Damit hatte der Ärger von Laura ein neues Ziel gefunden. „Du hältst dich da raus und gehst mit Nicki nach oben. Ich will weder dich noch deinen Bruder auf der Treppe sehen. Verstanden?“ Rami hob das Kinn etwas höher. „Ja, laut und deutlich, aber ich will auch erfahren, worum es geht, schließlich betrifft es ja wohl mich.“ Sie wandte sich direkt an Mark. „Und wir sehen uns doch noch, oder?“ „Natürlich. Ich werde nicht gehen, ohne mich von dir zu verabschieden oder dir deine Fragen zu beantworten“, versicherte Mark ihr. „Gut, dann bin ich einverstanden.“ „Da vorne ist die Küche.“ Laura wartete nicht, ob Mark ihr folgte. Seufzend übernahm er es, die Haustür zu schließen und nutzte die Chance, sich rasch umzusehen. Das gemütlich wirkende Wohnzimmer mit der chaotischen Spielecke hätte ihm besser gefallen, als die sterile Edelstahlküche, aber er konnte sich ungefähr vorstellen, wie sie auf einen entsprechenden Vorschlag reagieren würde. „Kaffee?“ Das Angebot glich einem Fauchen und wieder musste Mark an eine Löwin denken. Dieses Mal bekam er sein Grinsen kaum noch in den Griff. „Kann ich sicher sein, dass Sie kein Gift reintun?“ „Ja, aber nur, weil ich keins habe. Wenn Sie meine Tochter nicht in Ruhe lassen, besorge ich mir welches.“ „Wieso glauben Sie eigentlich, dass ich Sie Ihnen wegnehmen will?“ „Halten Sie mich für blind? Die Ähnlichkeit zwischen Ihnen und Rami ist doch nicht zu übersehen. Glauben Sie wirklich, Sie können nach den ganzen Jahren plötzlich auftauchen und Vaterschaftsrechte geltend machen?“ Obwohl er schon geahnt oder eher befürchtet hatte, dass sie ihn für Ramis Vater hielt, verletzte ihn die geringe Meinung, die sie offenbar von ihm hatte. Gleichzeitig fragte er sich, warum eigentlich. Letztlich kannte sie ihn nicht und es konnte ihm egal sein, was sie von ihm hielt war es aber nicht. Er lehnte sich gegen den Tresen und beobachtete, wie sie mit der Kaffeemaschine herumhantierte. „Sie glauben also ernsthaft, ich hätte meine Tochter und ihre Mutter im Stich gelassen?“ Laura wich seinem Blick nicht aus und nickte. „Ja und ich möchte wissen, wer Sie sind, was Sie wollen.“ „Genau das versuche ich Ihnen ja zu erklären. Aber kochen Sie erst einmal den Kaffee und beruhigen Sie sich endlich.“ Sein Befehlston erzielte die gewünschte Wirkung. Während sie die Kaffeemaschine einschaltete, verschwanden Wut und Ärger von ihrem Gesicht und Mark erkannte deutlich die Verletzlichkeit und Unsicherheit, die sie vor ihm verbergen wollte. Sie hätte ihn kaum für Ramis Vater gehalten, wenn ihr Ehemann ihr nicht verschwiegen hätte, dass er selbst der leibliche Vater ihrer Adoptivtochter war. Die Art und Weise, wie sie betrogen worden war, machte ihn wütend und er musste sich bemühen, einen neutralen Gesichtsausdruck beizubehalten. Viel zu schnell war der Kaffee fertig und Laura hielt ihm einen Becher hin. Er kam nicht dazu, einen Schluck zu trinken, denn sie schoss sofort das reinste Fragengewitter ab: „Wenn Sie nicht Ramis Vater sind, wer sind Sie dann? Was heißt ‚eine Art Polizist’? Was wollten Sie im Park? Was haben Sie mit meinem Mann überhaupt zu tun?“ „Welche Frage soll ich denn als Erstes beantworten?“ Obwohl sie ihn wieder anfunkelte, schien sie eher amüsiert als verärgert zu sein. „Suchen Sie sich eine aus.“ „Also gut, dann fangen wir ganz vorne an. Wissen Sie, dass Ihr Mann vor Ihrer Ehe eine Beziehung mit einer Frau namens ‚Shara Rawiz’ hatte?“ „Ja, sicher. Und ich weiß auch von meinem Anwalt, das ihm vorgeworfen wird, sie vor elf Jahren überfallen und fast getötet zu haben. Sie liegt seitdem im Koma, richtig?“ „Ja. Hat Ihr Mann Ihnen von Shara erzählt? Und wieso haben Sie einen Anwalt? Ihnen wird doch nichts vorgeworfen.“ Sie trank zunächst einen Schluck Kaffee. „Ich war beim Anwalt, weil ich wissen will, wie ich mich möglichst schnell von diesem Betrüger scheiden lassen kann und nicht, weil ich Angst vor einer Strafverfolgung habe. Von Shara hatte ich vorher irgendwann durch Zufall erfahren, aber natürlich nicht gewusst, dass mein Mann sie überfallen hat. Ich weiß auch nicht, warum er das getan haben soll.“ Ihre Absicht, sich scheiden zu lassen, gefiel ihm ausgesprochen gut. „Shara hat von ihm Unterhalt für ihr gemeinsames Kind verlangt. Das hat ihm nicht gepasst.“ Laura starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an, er sah ihr an, wie sie die richtige Schlussfolgerung zog und nickte langsam. „Ihr Mann und Shara sind die leiblichen Eltern von Rami. Shara ist meine Schwester, damit bin ich Ramis Onkel und nicht ihr Vater.“ Sie wurde kreidebleich, bewahrte aber ihre Fassung und schluckte. „Ich habe das schon irgendwie fast geahnt.“ Sie lachte bitter auf. „Mein Anwalt meinte vorhin, dass ich von den Betrügereien meines Mannes nicht ausreichend persönlich betroffen bin. Jedenfalls könnten einige Familienrichter das so sehen und eine Scheidung im Schnellverfahren verhindern. Dieser Punkt hat sich damit wohl erledigt. Joachim hat mir erzählt, dass Rami sein Patenkind wäre, ihre Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen sind und wir verpflichtet seien, sie aufzunehmen. Sind Sie denn absolut sicher?“ „Ja, das geht eindeutig aus den Akten beim Jugendamt hervor und Ihr Mann hat es gestern gegenüber Sven und mir zugegeben. Es tut mir leid.“ „Das ist ja nicht Ihre Schuld.“ Laura betrachtete lange Zeit das Muster auf ihrem Kaffeebecher. „Was wollen Sie jetzt von uns? Und wieso tauchen Sie erst jetzt hier auf?“ „Weil ich auch erst seit Kurzem weiß, dass meine Schwester noch lebt und dass es Rami gibt. Ich möchte das Mädchen gerne kennen lernen und außerdem verspricht sich Sharas Arzt einiges davon, wenn Rami ihre Mutter besucht. Wenn es eine Chance gibt, mit Ramis Hilfe meine Schwester aus dem Koma zu holen, müssen wir sie nutzen.“ „Wir?“ Die Frage klang eher verzweifelt als trotzig und Mark konnte nur erahnen, in welches Gefühlschaos er sie mit seiner Forderung stürzte. „Ja: wir. Sie können nichts dafür, dass Rami damals ihre leibliche Familie verloren hat und Sie haben in den letzten Jahren alles für das Mädchen getan. Aber jetzt können Sie nicht tun, als ob es Ramis Familie nicht gibt. Ich verlange doch wirklich nichts Unmögliches von Ihnen. Lassen Sie uns doch gemeinsam versuchen, das Beste aus dieser Situation zu machen.“ Mark sah ihr den Zwiespalt an und er konnte verstehen, wenn es ihr am Liebsten gewesen wäre, wenn er sang- und klanglos aus ihrem Leben verschwinden würde. Aber ihr musste auch klar sein, dass das nicht mehr als reines Wunschdenken war Schließlich atmete sie tief durch und sah ihn wieder direkt an. „Wenn ich mich weigere, würden Sie bestimmt Mittel und Wege finden, Ihren Willen durchzusetzen, oder?“ Erwiderte den forschenden Blick bewusst ausdruckslos. „Davon können Sie ausgehen.“ Wieder betrachtete sie schweigend die Kaffeetasse, ehe sie ihn direkt ansah. „Wir werden uns bestimmt einigen. Solange es Rami nicht schadet, bin ich zu allen möglichen Zugeständnissen bereit. Aber verraten Sie mir denn jetzt auch, was genau passiert ist? Ich weiß nur, dass mein Mann in der Bank Geld unterschlagen hat. Aber Herr Klein sprach eben davon, dass mein Mann auch direkt und indirekt für alle möglichen anderen Straftaten verantwortlich ist und unter anderem Herr Richter nur mit viel Glück überlebt hat. Ich kenne Herrn Richter, seine Frau hat für meinen Mann gearbeitet, und wir haben uns oft bei Veranstaltungen in der Bank getroffen. Ist das wirklich wahr?“ So hatte Sven sie also dazu gebracht, mit ihm zu reden. Mark suchte noch nach einer unverfänglichen Erklärung, als sie einen erschrockenen Laut ausstieß. „Die Zeitung heute morgen. Das hängt alles zusammen, oder? Sie haben zu dritt ermittelt, vermutlich verdeckt und sind aufgeflogen. Bestimmt, weil ich meinen Mann gesagt habe, dass ich Herrn Richter beim LKA getroffen habe, oder? In der Zeitung stand was von Herrn Klein, einer Spezialeinheit, einer Geiselbefreiung und einem verletzten LKA-Beamten. Mark zögerte. Sie war jahrelang betrogen worden und es würde nicht lange dauern, bis weitere Einzelheiten in der Presse durchsickerten. Geheimhaltung war gut und schön, aber er würde nicht da weitermachen, wo ihr Mann aufgehört hatte. Er entschied sich für einen Mittelweg. „Die Reporter übertreiben gerne. Es wurde kein LKA-Beamter verletzt, sondern Dirk. Aber die Schussverletzung war relativ harmlos. Er ist bereits wieder zu Hause und lässt sich von seiner Frau verwöhnen.“ Mark grinste breit. „Eigentlich müsste es heißen, er befindet sich auf der Flucht vor der übertriebenen Fürsorge seiner Frau und hilft Sven schon dabei, den ganzen Mist auch formell zum Abschluss zu kriegen.“ „Das klingt, als ob Sie nicht nur Kollegen, sondern auch Freunde sind.“ „Stimmt.“ „Und was genau sind Sie jetzt?“ Diese Frage hatte er erwartet. Normalerweise wussten nur engste Familienangehörige oder Freunde, dass jemand den SEALs angehörte. Bei diesem Fall hatte Mark den Eindruck, dass bereits dermaßen viele wussten, wer er war, dass er ebenso gut in seiner offiziellen Uniform herumlaufen konnte. „Ich leite das Team einer amerikanischen Spezialeinheit und wir haben mit dem LKA zusammengearbeitet. Reicht das?“ „Erstmal“, antwortete sie warnend. Lächelnd prostete Mark ihr mit dem Kaffeebecher zu. „Das klingt nach einer interessanten Herausforderung. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.“ Eine leichte Röte stieg in Lauras Wangen, aber sie hielt seinem forschenden Blick stand. „Ich lass mich überraschen. Mich interessieren nur noch zwei Sachen. Warum waren Sie Samstag im Park?“ „Eigentlich wollte ich mich erst nach dem Abschluss des Falls mit Ihnen in Verbindung setzen, aber ich konnte nicht widerstehen, Sie und Ihre Kinder schon vorher kennen zu lernen.“ Die Röte auf Lauras Wangen vertiefte sich, offenbar war seine unterschwellige Botschaft angekommen. Mit einer abrupten Kopfbewegung wandte sie sich ab. „Lassen wir das Thema lieber. Ich befürchte, dass Rami ungeduldig wird. Sie weiß, dass wir nicht ihre leiblichen Eltern sind, und ich bin damit einverstanden, dass wir ihr sagen, dass sie einen Onkel hat und was mit ihrer leiblichen Mutter ist. Aber den Rest, die Sache mit ihrem Vater, den möchte ich ihr später erzählen. Das alles zusammen wäre zu viel für sie.“ „Einverstanden.“ „Dann noch etwas. Wenn wir schon quasi verwandt sind und meine Tochter dich schon duzt, kannst du mich auch gerne Laura nennen.“ „Gerne.“ Die nächsten Wochen und Monate würden interessant werden, trotzdem konnte Mark eine beunruhigende Vorahnung nicht abschütteln. Aber er würde nicht zulassen, dass Laura oder den Kindern etwas zustieß. Egal, was es ihn kosten würde. Marks Vorahnung ist richtig! => Weiter geht es mit Mark & Laura in „Zerberus – Unsichtbare Gefahr“ Link Copyright by Stefanie Ross, 2013